
Der Disc-Jockey ist Nebensache
Der Traumberuf ist wieder da, wo alles in den siebzigern begann. Früher prägte der DJ ein Lebensgefühl in Clubs, heute steht er für Massen-Entertainment auf Festivals.
Ab Ende der 60er Jahre, dem Beginn der Club- und Disco-Kultur, brauchte man einen Disc-Jockey, der mangels Live-Band für die Stimmung mittels Aufnahmen auf Tonträgern – meist der Schallplatte – sorgte. Inhaltlich ging es in erster Linie darum, die Musik zu spielen, die die Gäste schon aus dem Radio oder TV-Sendungen wie „Beat Club“ (ab 1965), „Soul Train“ (ab 1971), „Solid Gold“ (ab 1980) oder „Disco“ (ab 1971) kannten, und nun konnte man auch mit anderen dazu tanzen. Das Gemeinschaftsgefühl entstand dadurch, dass alle von Anfang an auswendig mitsingen konnten. Der DJ war ein angestellter „Mitarbeiter“.
Viele werden bis heute gar nicht wissen, dass sich diese Kultur jemals geändert hat, weil sie bis heute in Discos gehen, wo genau das seit dieser Zeit so praktiziert wird. Im Grunde können sich all diejenigen wieder getrost hinlegen, denn das Abenteuer der Selbstverwirklichung des DJs ist sowieso schon wieder vorbei.
Anfang der 80er entstanden Clubs und Veranstaltungen, bei denen der DJ – anders als vorher – durch die Musikauswahl und die Technik mit Platten umzugehen, ein Publikum anzog, dass etwas Neues suchte, um sich vom Einerlei der Mainstream-Discos abzuheben. Man wollte sich überraschen lassen und etwas erleben, das man vorher nicht kannte. Lange Zeit war in den angesagten Clubs dieser Welt, wie der „Paradiese Garage“ (New York), dem „Le Bains Douches“ (Paris), der „Haçienda“ (Manchester) dem „Camden Palace“ (London) oder dem „Dorian Gray“ (Frankfurt) der Plattendreher nicht unbedingt bekannt, wohl aber wusste man, dass man dort etwas revolutionär Neues zu hören bekam.
Der Club war der Star und die spezielle Veranstaltung das Highlight. Man feierte die Nacht und sich selbst. Man erinnert sich an die Nächte im „Club Vinyl“ in New York, bei der Veranstaltung „Body & Soul“, wo die Tanzfläche eine einzige große Party war und irgendwo hinter einem Bretterverschlag mit einem ausgesägten Loch „arbeitete“ der DJ an vier Plattenspielern und zauberte einen Klangteppich aus nicht gekannten Housetracks. Bemerkenswert war allerdings, dass hier die Götter der House-Music wie z.B. François K. oder Danny Krivit am Werke waren, aber das spielte keine große Rolle. Selbst im „Dorian Gray“ verdienten die heute bekanntesten DJs damals fast nur ein Taschengeld, was dadurch ausgeglichen wurde, dass man auf den eigenen Veröffentlichungen mit „DJ at Dorian Gray“ werben durfte. Maximilian Lenz alias Westbam legte in Berlin in der „Turbine Rosenheim“ in einem komplett von der Tanzfläche getrennten Raum auf und konnte die Gäste somit nicht einmal sehen.
Dann kam die Zeit, als der DJ zum Mittelpunkt wurde. Man tanzte in Richtung des DJ-Pults, was auch nicht mehr ebenerdig irgendwo stand, sondern mittlerweile auf einer Bühne, durch Absperrungen und Security-Personal gesichert. Es ging zwangsläufig nicht mehr um Musik, sondern um den Popstar und ein riesiges Spektakel. Und heimlich, still und leise verschwand der hochstilisierte Master of Ceremony aus dem Club auf die Mainstage der Festivals. Auf solche Veranstaltungen geht mittlerweile ein Publikum, dass früher auf Rockkonzerte ging. Einmal Geld ausgeben – das volle Programm. Mit dem Unterschied, dass man sich bewusst von nichts mehr abgrenzt. Je mehr Gleichgesinnte, desto größer das Gemeinschaftsgefühl. Im Übrigen ist der Begriff Disc-Jockey längst irreführend, da die meisten Protagonisten seit mindestens einem Jahrzehnt mit einem Laptop auflegen.
Die damaligen Clubs sind in einer Dauerkrise, weil sie sich einerseits die Star-DJs mit Gagen zwischen € 10.000 und € 100.000 für ein 2-Stunden-Set nicht leisten können, aber vor allem es auch keine Zielgruppe mehr gibt, die in solche Clubs käme, selbst wenn man kreative DJs bietet. Die Gäste wollen das hören, was sie eben zuhause noch auf YouTube gehört haben.
Und so gibt es in dem Club, der gestern noch für eine stringente Musikrichtung stand, am Freitag eine Ü-30 Party, Samstag R&B und Sonntag früh abends Disco oder 80s für Ü-50. Und dafür braucht man keinen DJ für € 3.000. Da reicht dann auch der Resident für € 300, wie früher in den 70ern.
Die DJ-Welt hat sich in 40 Jahren also einmal um 360 Grad gedreht.
„Da sieht man, wie sich die Zeiten geändert haben: Wenn du heute nicht im Privatjet ankommst und nicht so groß bist wie David Guetta, wirst du belächelt. Früher nannte man das Ausverkauf, Erfolg war in der Szene verpönt. Dabei war das eine avantgardistische Leistung, denn Popstars hatte es im Techno bis dato nicht gegeben. Leute, die früher über die Loveparade schimpften, fahren heute zum Tomorrowland-Festival. Und das ist nun wirklich die Kommerzhölle, ein eisenhartes Geschäft, durchkalkuliert und börsennotiert …“
(Westbam, Spiegel-Online Interview, 12.04.2019)
Fotos: Vox Discotape Unit 1971