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Der DJ-Teufel scheißt auf den größten Spotify-Playlist-Haufen
Allabentlich im Fernsehen: In Talkshows sitzen Prominente aller Bereiche in Diskussionsrunden und teilen sich neben privaten Themen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen mit. Man fragt sich, warum genau diese Leute zu allem etwas zu sagen haben. Haben sie nicht. Sie tun meist nur so, weil sie auf das Level Massenmedien gehievt wurden und am Ende in ihrem Selbstverständnis auch zu allem etwas Inhaltsschwangeres wissen. Auch bei vielen Quizz-Shows verwechseln Promis die Bestätigung für ihr gutes Aussehen mit Intelligenz. Kompetentere Ansprechpartner wären leider nicht prominent – also uninteressant und dementsprechend zu wenig unterhaltsam.
Darum soll es hier aber gar nicht gehen, sondern um ein ähnliches Phänomen im DJ-Bereich. Schon lange ist nicht mehr wichtig, welche Musik gespielt wird, sondern wer sie spielt. Früher gab es bereits eine Heerschar wirklich leidenschaftlicher und sehr innovativer Resident- oder auch Warm-Up DJs. Sie konnten machen was sie wollten, alle haben nur auf den Star DJ gewartet. Kaum jemand tanzte, obwohl das Set wesentlich tanzbarer und kreativer als das des Headliners war. Aber egal, zwangsläufig war die Musik von Letzterem total super.
Ich kann mich an Gespräche mit DJs erinnern, die erzählten, dass sich die Tanzfläche beim Spielen der einen oder anderen neue Platte geleert hatte mit den üblichen Kommentaren der Gäste. Spielte die selbe Platte aber eine Stunde später der Promi-DJ, herrschte totale Euphorie.
An einem anderen Abend hörte ich die bemerkenswerte Geschichte, in der sich ein Gast beim Resident-DJ über die House-Musik beschwerte, die der in Hinsicht auf den anschließenden Gast-DJ anstatt dem sonst hier üblichen R&B gespielt hatte. Exakt diesen Gast sah dann der Gescholtene beim Parooka-ville-Festival in der ersten Reihe bei Steve Aoki völlig ausrasten. Eventuell lag es ja auch an den geworfenen Torten und dem Gummiboot, welches immer noch eine Rolle bei Steve Aoki spielt.
Als Sven Väth – für mich einer der authentischsten DJs überhaupt – bei der MOMEM-Eröffnung vor der Frankfurter Hauptwache vor 6.000 Menschen die ersten Beats eines unfassbar langweiligen Sets anstimmte, gingen alle Hände in die Höhe. Bei einem No-Name-DJ wären nach einer Stunde alle auf dem Heimweg.
Sehr viel anders verhält es sich auch nicht bei den gefühlt letzten zehn Depeche Mode-Alben, die – von einer unbekannten Band veröffentlicht – ein Flop gewesen wären. Man kauft sie, hört sie aber nur ein- bis zweimal.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre die Stimmung bei Festivals auf dem Mainfloor besser, wenn dort anstatt des größten Plakat-Namens ein Newcomer spielen würde, der viel mehr Akribie in die Track-Auswahl steckt und sich naturgemäß mehr Mühe gibt. Wenn es die Gäste nicht wüssten, würden sie kaum bemerken. So aber gehen nur jeweils beim Drop des nächsten Titels die Arme hoch. Genau dieser Moment wird dann auch auf den Social-Media-Bildern festgehalten. Wahnsinn, was da los war.
Es geht um Namedropping und eine Hörigkeit gegenüber „Stars“, die jegliche Objektivität vermissen lässt. Bei Bands mag das noch am persönlichen Bezug zu den Charakteren der Protagonisten liegen. Bei DJs ist es meist ausschließlich ein Hype, dessen Glaubwürdigkeit schon lange zurückliegt. Der Teufel scheißt eben immer auf den größten Spotify-Playlist-Haufen, dem kaum noch zu entkommen ist..
Foto: Sascha Lüönd, MOMEM, Welcome To The Robots