Der elektronische Festival-Sommer

Gemeinschaftsseele vs. Vereinsamungsangst.


War die erste Love Parade 1989 eher noch ein Witz, empfanden viele schon Anfang der 1990er die Folgeveranstaltungen als eine Art Weiterentwicklung des klassischen Karnevals, nur eben nicht mehr mit Blaskapellen und Kamellen, sondern mit Musik aus der Konserve und vor allem mit vielen zahlungskräftigen Sponsoren. Was aber das Ganze mit Liebe und Frieden zu tun hatte, und mit einer Demonstration (für was genau?), bleibt fraglich. War es nicht eher so, dass die Techno-Kultur sich ihren Weg aus den Clubs und illegalen Lagerhallen in die Öffentlichkeit bahnte und es im Grunde nur um den Spaß am Raven ging? „We are different“ war das Motto. 1.000.000 Menschen, teilweise mit Kinderwagen und vielen Müllwesten sind so „anders“ wie eine Schafherde. Unter dem Gemeinschaftsgedanken der Völkerverständigung ginge das vielleicht noch durch, aber wie friedlich und vor allem sauber das immer war, könnte man ja mal die Berliner Polizei fragen.

 

Heutzutage findet der Spaß am Raven eher stationär statt. Auf den sogenannten elektronischen Festivals. Die ältere Generation könnte darunter auch die Umbenennung der CeBIT verstehen, aber was genau ist damit wirklich gemeint? Natürlich geht’s um elektronische Musik, aber weiß überhaupt noch irgendjemand, was elektronische Musik genau ist? Mindestens so elektronisch sind aber auch die gigantische Lightshow (obwohl die dummerweise bis zum Sonnenuntergang kaum zu sehen ist), und vor allem die Bezahlsysteme.

 

Allein im Juli 2019 finden laut Festivalticker ca. 100 elektronische Festivals in Deutschland statt. Und dabei sind die unzähligen Stadtfeste, auf denen mittlerweile zur Peaktime auch immer mindestens ein DJ auf der Bühne stehen muss, gar nicht erwähnt.

 

Worin liegt der Reiz, mit 20.000 Gleichgesinnten einen winzig kleinen, statischen DJ aus 100 m Entfernung auf der Bühne zu beobachten? Vor allem wenn erfahrungsgemäß trotz EDM (Electronic Dance Music) gar nicht getanzt wird, sondern maximal eine Bewegung im Publikum zu erkennen ist. Aber auch nur dann, wenn alle paar Minuten der Drop kommt.

Gustave Le Bon (nicht mit dem Sänger Simon Le Bon von Duran Duran zu verwechseln) sagt in seinem Buch „Psychologie der Massen“, dass In der Masse eine Gemeinschaftsseele existiert, es gibt eine kollektive „Ansteckung“ der Gefühle. Und Elias Canetti schreibt in seinem Werk „Masse und Macht“: Die Masse nimmt dem in ihr integrierten Menschen seine Ohnmachtsgefühle und Vereinsamungsängste, deshalb wird sie so gerne aufgesucht.

 

Mitnichten ist es wahrscheinlich die Leidenschaft zu elektronischer Musik, oder wirklich etwas live auf der Bühne zu sehen, wie das bei Rockkonzerten oder Rockfestivals der Fall ist, wenn man Künstlern bei Ihrer Kunst beiwohnen kann. Vollkommen absurd wird es aber dann, wenn eine DJ-Performance – wie mittlerweile üblich – live im Fernsehen übertragen wird. Gibt es etwas Langweiligeres? Überhaupt könnte man mit ein wenig Fantasie solche Festivals auch mit einer Mischung aus dem ZDF-Fernsehgarten und Disneyland vergleichen. Und wenn Menschen für eine Mallorca Pauschalreise möglichst unter € 200,- ausgeben wollen, wundert es schon, dass der gleiche Preis für ein Festival-Wochenende kein Problem ist. Wohlgemerkt ohne Anreise, Verpflegung und Unterkunft! Tomorrowland € 281,- (400.000 Besucher), SonneMondSterne € 119,- (40.000 Besucher), Parookaville € 209,- (80.000 Besucher), Disneyland Paris (Wochenendticket) € 80,-.

 

Natürlich: Es geht nicht um Musik oder die vollumfänglich austauschbaren sogenannten DJs, die zumindest auf der Mainstage schon lange nicht mehr wirklich „auflegen“ – schon gar nicht live. Es geht im Sinne der Gemeinschaftsseele wie meistens um kommerzielle Unterhaltung. Mit allem was dazugehört: Fahrgeschäfte, Bungee Jumping, Foodtrucks, gemeinschaftliches Farbbeutelwerfen uvm. Eben 1:1 das, was man auf einem durchschnittlichen deutschen Rummel erwartet. Und auch da gab’s ja schon in den 1980ern beim Autoscooter die DJane mit den neuesten Electro-Hits inklusive Moderation. Nur das die nebenbei noch die Tickets verkauft hat.

 

Aber eigentlich geht es um die Frage, warum der Vogelpark Walsrode diese Idee des Entertainments nicht schon vor den börsennotierten Großveranstaltern hatte.

 

Fotos: Pressefoto Tomorrowland, Pressefoto Disneyland